Resilienz in der Apotheke - oder: wie ich überlebt habe


Von Pharmama.ch

Die letzten anderthalb Jahre waren zum Wegwerfen für mich. Meine Mutter starb im Frühling 2023, mein Vater im Herbst. Während Mama vorher einige Zeit krank war, kam der Tod von Papa überraschend - und ich habe ihn selbst aufgefunden. Beide waren mir immer eine starke Stütze und ich trauerte und vermisse sie sehr.

Dazu kamen bestehende eigene gesundheitliche Probleme, wegen Covid-Folgen und vermehrter Stress in der Apotheke aufgrund kranker Mitarbeitenden und Mutterschaft. Dann kündigte meine junge Mit-Betriebsleiterin, die den Drogerieteil unserer Apotheke und Drogerie unter sich hatte - wahrscheinlich wegen Überforderung. Ihr Führungsstil war eher suboptimal: Micromanagend und gleichzeitig hatte sie Probleme Aufgaben abzugeben.

Kurz vor Weihnachten eskalierte das mit einer langjährigen Mitarbeiterin in einem Mass, dass ich mich erstmals direkt gegen sie stellen musste. Daraufhin liess sie sich krankschreiben. Wiederholt. Sie kam dann bis zu ihrem Arbeitsende drei Monate später nicht mehr arbeiten. Ich musste ihre ganzen Aufgaben von einem Tag auf den nächsten übernehmen, einschliesslich Lehrlingsbetreuung Drogerie, Drogeriesortiment-Bestellungen, Arbeitspläne der Drogerie usw.

Daneben räumte ich die Wohnung der Eltern und war auf der Beerdigung von einer Tante und einem Götti, die in der Zeit gestorben sind. Für die Kollegin, die wegen schwieriger Schwangerschaft früher in den Mutterschaftsurlaub musste, konnten wir eine neue Mitarbeiterin in der Apotheke einstellen. Die Pharma-Assistentin war erfahren und arbeitete gut - bis das Schicksal auch sie hart traf: Familienprobleme, gesundheitliche Probleme, kranke und sterbende Haustiere, kranke Verwandte - das ganze Programm. Mehr als genug für ein Burnout. Sie kündigte vorher, um das zu verhindern. In der Zwischenzeit suchten wir immer noch dringend eine neue Drogist:in HF als Mit-Betriebsleitung.

Das war die Kurzfassung (ja, wirklich) - und ich lebe noch, arbeite noch und der Apotheke und dem Rest der Mitarbeitenden geht es gut. Ich habe dabei gezwungenermassen viel über Resilienz gelernt, was ich gerne weitergeben möchte.

Zum Glück hatte ich schon Kurse in die Richtung, denn wenn man in so einer schwierigen Zeit drin ist, fehlt die Kraft sich das neu anzueignen. Resilienz kommt vom lateinischen Wort resiliere: Abprallen, nicht anhaften und beschreibt die Fähigkeit, Belastungen auszuhalten, sich von Schicksalsschlägen nicht aus der Bahn werfen zu lassen, sondern wieder auf die Beine zu kommen und sein Leben zu bewältigen. Diese Einstellungen und Aktionen haben mir durch die schwierige Zeit geholfen.

Akzeptanz

Manchmal ist es so: Die Situation ist katastrophal und sie lässt sich nicht ändern. Man nennt das auch Schicksal. Man steht Dingen gegenüber, bei denen man hilflos ist. Naturkatastrophen, Todesfälle, Krankheiten, aber auch die Entscheidungen von anderen Leuten, die man akzeptieren muss. Von Politikern hat man schon gehört "it is what it is." Man kann am Ende nichts anderes tun als hinnehmen. Es hilft, wenn man sich da innerlich nicht zu sehr wehrt und damit hadert und sich Gedanken macht, weshalb, warum und wäre doch ... Es ist jetzt so. Mist. Traurig. Ja. Hinfallen darf jeder - es geht darum, wieder aufzustehen. Krönchen richten und weiter gehts.

Eine positive innere Einstellung

Auch wenn das aktuell eine schlimme Situation ist - das wird wieder anders. Es ist nicht nur so, dass das Leben weitergeht. Es wird auch wieder besser werden. Es gibt Trauer, es gibt depressive Verstimmungen und die Hormone tragen bei uns Frauen auch nicht gerade zu einer optimistischen Stimmung bei - ich selbst falle regelmässig vor der Menstruation in ein tiefes Loch. Aber ich weiss dann auch, an was das liegt ... und dass es besser wird. Das Leben ist schön, auch wenn man es vielleicht in dem Moment nicht sehen kann. Meine Eltern haben mir das immer vermittelt und ich weiss, dass sie nicht wollten, dass ich nur noch Trübsal blase und das Schöne und Gute im Leben nicht mehr sehe. Ich war in der Zeit oft unterwegs zur Arbeit, einerseits weinend vor Trauer und konnte trotzdem Freude haben an dem Regenbogen oder an guten Nachrichten. Was ich von meinen Eltern auch gelernt habe, ist dankbar zu sein - und das auch zu zeigen. Ich bin dankbar für Familie und Team und Arbeit - und gutes Essen, schöne Ferien, dass ich in der Lage bin mit dem Velo zur Arbeit zu fahren und mehr.

Selbstwahrnehmung und Selbstregulation

In so schwierigen Zeiten muss man sich fast zwingen, etwas auf sich zu achten. Mir haben im kleinen Rahmen diese Tipps geholfen:

Wenn du das Gefühl hast, alle hassen dich: Schau, dass du genug Schlaf bekommst. Wenn du das Gefühl hast, du hasst alle: Iss etwas. Wenn du das Gefühl hast, du hasst dich selber: Nimm eine Dusche.

Weil ich meinen Papa in der Dusche tot aufgefunden habe, brauchte der Teil bei mir mehr Überwindung, trotzdem fühlte ich mich nach einer Dusche besser. Und das mit dem Essen: Die Snickers Werbung "Du bist nicht du selber, wenn du Hunger hast" kennt man noch, oder?

Etwas noch: Wenn man die äusseren Umstände nicht ändern kann - vielleicht kann man seine Einstellung ändern? Das scheint oft unmöglich, ist aber enorm befreiend, wenn es klappt. Es hilft, sich klarzumachen, dass man bei der Arbeit - egal in welcher Position - nicht wirklich unersetzlich ist. Sich zu fragen: Was ist mir wichtig genug, dafür zu kämpfen? Choose your battles, lass Unwichtiges laufen. Und wenn die eigenen körperlichen und seelischen Grenzen erreicht sind, dann sollte man auch mal sagen: Jetzt ist fertig für heute. Ich brauche jetzt dringend Ruhe, gehe nach Hause, lasse mich ablösen.

Netzwerkorientierung  und Hilfe holen

Man ist nicht allein. Der Mensch ist ein soziales Wesen und selbst introvertierte Typen wie ich selbst haben kleine Netzwerke. Familie (was noch da ist), Freundeskreis, Arbeitskollegen und Vorgesetzte. Ich habe einen Bruder, mit dem ich in dem schwierigen letzten Jahr wieder mehr zusammengewachsen bin. Er und Familie waren eine grosse Hilfe beim Bewältigen des Todes unserer Eltern und der nachfolgenden Beerdigung und Behördenkram. Mein Mann und Sohn teilen meine Trauer und fangen mich zu Hause auf. In der Apotheke habe ich das Team, das sich in der schweren Zeit zu Höchstleistung aufschwang und mit gegenseitiger Hilfe und Einsätzen half. Ihnen konnte ich einen Teil der Aufgaben weitergeben und sicher sein, dass die Apotheke weiterläuft. Und ich habe Hilfe geholt bei meinen Vorgesetzten, die Aufgaben übernommen haben wie der Suche nach einer neuen Co-Betriebsleitung, Behördenkommunikation und Einsätzen von auswärtigen Mitarbeitern in unserer Apotheke ... unter anderem auch für mich selber. Das ist die Zeit zu erfahren, dass Angebote wie: "Wenn Du Hilfe brauchst, musst du nur fragen" nicht nur Floskeln sind. Falsche Scham hilft nicht.

Orientierung auf die Zukunft

Jetzt ist die Situation vielleicht miserabel, aber es gibt Hoffnung für die Zukunft. Probleme künden sich häufig vorher an und "beobachten" ist nur ganz in der Anfangsphase eine gute Idee. Meine Mama sagte immer: Probleme sich selbst zu überlassen führt meist vom Regen in die Traufe. Vorausschauend handeln hilft. Meine Co-Betriebsleitung machte zum Beispiel die Arbeitspläne (ausser für die Apotheker) - das ist viel Arbeit und Zeitaufwändig (vor allem, wenn man wegen Krankmeldungen etc. kurzfristig Ersatz suchen muss), deshalb drängte ich darauf, da eine langjährige Mitarbeiterin einzuführen, um sie zu entlasten - und die war dann parat, als meine Co-Leitung hinschmiss. Apropos Arbeitspläne ... in der immer noch aktuellen Situation mit hohen Krankheitsständen und Ausfällen ist es gut, da etwas mehr Arbeitsprozente zur Verfügung zu haben.

Verantwortung übernehmen

Es ist gut möglich, dass meine Situation mitbestimmend war für die Entscheidungen meiner Co-Betriebsleiterin. Aber sie hat gekündigt, nicht ich. Ich übernehme Verantwortung, aber nicht Schuld. Damit hatte ich  noch nie Mühe. Vor 20 Jahren wurde ich etwas überraschend Co-Betriebsleiterin, nachdem ich in der Apotheke als angestellte Apothekerin immer mehr Aufgaben übernommen und gelernt habe, wie alles läuft. Als sich mein damaliger Chef mit dem Inhaber angelegt hat, war ich der parate Ersatz. Als nun meine Co-Betriebsleitung gekündet hat, war ich trotzdem erst mal überwältigt davon, dass jetzt einfach "alles" an mir alleine liegt. Dann fand ich mich damit ab und irgendwie machte es mir das Ganze etwas einfacher. Wenn nur ich jetzt für alles verantwortlich bin, muss ich mich nicht mehr absprechen, nachfragen, ob etwas gemacht wurde, oder mich eventuell über andere ärgern, wenn nicht. Ich habe die Aufgaben trotzdem nicht alle behalten, sie wurden delegiert und weil ich ein gutes Team habe, werden sie auch gut gemacht.

Lösungsorientierung

Schwierige Situationen stellen uns vor Probleme. Manchmal kommen sie uns wie unüberwindbare Berge vor. Probleme sind aber häufig lösbar. Es gibt Strategien, die helfen. Mir half es bewusst zu werden, dass das kein Sprint ist, sondern mehr ein Marathonrennen oder vielleicht auch ein Hindernislauf. Man sollte seine Kräfte dafür einteilen, immer ein Problem nach dem anderen angehen, Babysteps machen: Kleine Schritte, aber nicht aufhören, immer nur ein bisschen (weiter). Und ganz wichtig ist es, Prioritäten zu setzen. Wichtiges zuerst, Unwichtiges später. Sachen mit Deadline zur Zeit erledigen, anderes schieben. Nicht alles muss man selbst machen. Delegieren, sich Hilfe holen ist wichtig. Manchmal muss man auch über den Rand hinausdenken. Wir haben keine Drogistin HF gefunden, dann gab es eine andere Lösung.

Wir sind jetzt nur noch eine Apotheke und keine Drogerie mehr - aber mit demselben Sortiment wie vorhin und bilden weiterhin Drogistenlehrlinge aus. Ich habe eine Co-Betriebsleiterin bekommen, die Apothekerin ist, wie ich und mit der ich Aufgaben und Verantwortung teile. Unser Lehrling hat seinen Abschluss gut bestanden. Die Personalsituation hat sich wieder entspannt, die Kollegin ist aus der Mutterschaft zurück. Es geht aufwärts. Man muss etwas dafür tun, aber das wird! Es lohnt sich, Resilienz zu entwickeln.

23.09.2024 

Von Pharmama.ch


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