Topiramat (Topamax®): Erhöhtes Risiko von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bei Exposition während der Schwangerschaft
BERN - Neue Daten, die von der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA analysiert wurden, weisen darauf hin, dass ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte besteht, wenn Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel mit Topiramat behandelt werden. Dieses Arzneimittel wird zur Behandlung der Epilepsie und zur Prävention der Migräne eingesetzt. In der Arzneimittelinformation von Topiramat in der Schweiz ist eine Schwangerschaft bereits unter den Kontraindikationen aufgeführt, und auf das erhöhte Risiko von Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten wird hingewiesen. Aufgrund der neuen Daten werden die Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen nun entsprechend erweitert. Sie werden hier zusammengefasst:
Bei Frauen im gebärfähigen Alter:
- Topiramat ist bei Frauen kontraindiziert, die keine sichere Verhütungsmethode anwenden.
- Vor dem Beginn einer Behandlung mit Topiramat müssen die Frauen darüber informiert werden, dass ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und insbesondere für eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalten besteht, wenn während der Behandlung eine Schwangerschaft eintritt.
- Der Arzt muss vor der Verschreibung von Topiramat eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Analyse vornehmen und mögliche Alternativbehandlungen in Erwägung ziehen und besprechen.
- Während einer Behandlung mit Topiramat muss eine zuverlässige Kontrazeption durchgeführt werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Wirsamkeit von kombinierten, oestrogenhaltigen Kontrazeptiva aufgrund pharmakokinetischer Interaktionen mit Topiramat vermindert sein kann (Induktion von CYP3A4).
- Falls eine Frau, die mit Topiramat behandelt wird, schwanger werden möchte muss sie dies sofort ihrem Arzt mitteilen, damit er mit ihr die Frage der Umstellung der Behandlung und mögliche Behandlungsalternativen besprechen kann. Die Behandlung soll nur in Absprache mit dem Arzt abgesetzt werden.
Bei Schwangerschaft unter Behandlung mit Topiramat:
- Frauen, die mit Topiramat behandelt werden und schwanger werden, müssen dies sofort ihrem Arzt mitteilen. Falls die Frau an Epilepsie leidet, soll die weitere Behandlung vom Neurologen in Absprache mit dem Gynäkologen und dem behandelnden Arzt festgelegt und geplant werden. Die Patientin ist zu informieren über die Gefährdung von Mutter und Kind durch epileptische Anfälle in der Schwangerschaft und die mögliche Schädigung des Fötus durch das Medikament. Falls Topiramat zur Migräneprophylaxe verschrieben wurde, muss das Arzneimittel rasch, aber schrittweise unter Aufsicht eines Neurologen abgesetzt werden. Es gibt in diesem Fall meistens sicherere Alternativen.
- Kontrollen der Schwangerschaft mit sorgfältiger Ultraschalluntersuchung in einem spezialisierten Zentrum werden empfohlen. Eine zusätzliche Einnahme von Folsäure ist am Anfang einer Schwangerschaft immer indiziert, besonders bei Behandlung mit einem Enzym-Induktor wie Topiramat.
Der Swiss Teratogen Information Service (STIS) im Universitätsspital Lausanne (CHUV) bietet medizinischen Fachpersonen einen Informationsdienst, damit diese betroffene Patientinnen beim Entscheid über die Fortsetzung der Schwangerschaft kompetent beraten können. Um die Kenntnisse zur Anwendung von Topiramat in der Schwangerschaft möglichst umfassend zu dokumentieren, sind die Fachleute aufgerufen, Meldungen über Medikamentenexpositionen in der Schwangerschaft an den STIS zu richten. Der STIS dokumentiert anschliessend deren Ausgang und nimmt sie in seine Datenbank auf (www.swisstis.ch).
Hintergrundinformationen
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind Fehlbildungen, die auftreten, wenn ein Teil der Lippen oder des Gaumens während der kindlichen Entwicklung zu Beginn des ersten Schwangerschaftsdrittels nicht vollständig zusammenwachsen. Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch nicht, dass sie schwanger sind. Diese Fehlbildung kann unterschiedlich ausgeprägt sein und von einer kleinen Kerbe an der Lippe bis zu einer Spalte reichen, die sich von der Lippe über den Gaumen bis zum Nasenansatz hinzieht. Sie kann zu Problemen beim Essen und Trinken sowie beim Sprechen und zu Mittelohrentzündungen führen. Häufig muss die Lippe oder der Gaumen mit einem chirurgischen Eingriff geschlossen werden, nach dem die Entwicklung bei den meisten Kindern günstig verläuft.
Die von der FDA analysierten Daten stammen aus mehreren Quellen und namentlich aus der nordamerikanischen Datenbank mit Informationen zu schwangeren Patientinnen mit Epilepsiebehandlung (North American Antiepileptic Drug Pregnancy Registry). In dieser Datenbank bestand für Säuglinge, deren Mütter während des ersten Schwangerschaftsdrittels mit Topiramat als Monotherapie behandelt wurden, ein erhöhtes Risiko für eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit einer Prävalenz von 1,4%, gegenüber einer Prävalenz von 0,38% bis 0,55% für andere Epilepsiebehandlungen. Die Prävalenz bei den Säuglingen mit einer Mutter ohne Epilepsie und ohne Epilepsiebehandlung betrug 0,07%. Im Vergleich zu Unbehandelten betrug das relative Risiko einer Lippen-Kiefer-Gaumen Spalte 21,3 (95% Konfidenzintervall: 7,9 – 57,1). Eine vergleichbare Erhöhung um ein Faktor 16 wurde auch im britischen Register (UK Epilepsy and Pregnancy Register) festgestellt. Die Häufigkeit betrug 3,2% bei mit Topiramat Monotherapie exponierten Kindern und 0,2% in der unbehandelten Bevölkerung. Diese Zahlen verdeutlichen die Variabilität der Daten aus verschiedenen Registern und die schon bekannte Erhöhung des Risikos unter jeder Antiepileptika-Behandlung.
Bisher publizierte Daten deuten bereits daraufhin, dass Topiramat das Gesamtfehlbildungsrisiko und das Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten erhöht. In Tierversuchen hat sich Topiramat als teratogen und embryotoxisch erwiesen (kraniofaziale- und Skelettanomalien, Wachstumsretardierung, Embryonalverlust). In früheren kleineren Analysen aus Schwangerschaftsregistern betrug das Gesamtfehlbildungsrisiko 4-5% und erreichte 9-11% bei gleichzeitigem Einsatz von anderen Antiepileptika. Es scheint damit in etwa vergleichbar mit jenem anderer Antiepileptika. Das spontane Risiko bedeutender Missbildungen wird um 2-3% aller Neugeborenen geschätzt.
Das existierende, aber begrenzt erhöhte absolute Risiko für Lippen- und Gaumenspalten für Feten, deren Müttern mit Topiramat behandelt werden, sollte sorgfältig gegen den Nutzen der Arzneimitteltherapie für die Mutter abgewogen werden (alternative Therapiemöglichkeiten, Gefahr von Krampfanfällen). Andere Antiepileptika bergen ebenfalls Fehlbildungsrisiken. In der Tat wird das Risiko von generalisierten Krampfanfällen für die Schwangerschaft generell als höher eingeschätzt als das durch eine Arzneimitteltherapie mit Antiepileptika bedingte Fehlbildungsrisiko. Für die Anwendung von Topiramat für andere Indikationen in der Schwangerschaft (Migräne Prophylaxe, off-label Anwendung) gibt es jedoch in der Regel sicherere Alternativen.
In der Arzneimittelinformation wurde schon explizit auf das Risiko von Fehlbildungen und auf die Kontraindikation bei einer Schwangerschaft hingewiesen. Aufgrund der jüngsten Daten werden die Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen demnächst noch angepasst und in der Pressemitteilung von Swissmedic an Patientinnen und medizinische Fachpersonen in Erinnerung gerufen.
Quelle: Schweizerisches Heilmittelinstitut (Swissmedic)